4. Man schreibt den Propheten derart die Gabe der Zukunftsvoraussage zu, dass die Wörter „Prophetie“[1] und „Voraussage“ synonyme Bedeutung bekamen. Im Sinne des Evangeliums hat das Wort „Prophet“ eine breitere Bedeutung. Es bedeutet „Gottesbote“, der die Mission hat, die Menschen zu lehren und ihnen die verborgenen Dinge und Mysterien des geistigen Lebens sichtbar zu machen. Ein Mensch kann demnach ein Prophet sein, ohne Voraussagen zu treffen. Die Juden zur Zeit Jesus hatten diese erste Vorstellung des Begriffes. Das erklärt, warum die versammelten Schriftgelehrten und Ältesten Jesus, als er vor den Hohepriester Kaiphas gebracht wurde, in das Gesicht spuckten, ihn schlugen und ohrfeigten und sprachen: „Weissage uns, Christus, wer ist’s, der dich schlug?“[2] Dennoch geschah es, dass Propheten tatsächlich die Zukunft vorausahnten, entweder mittels Intuition oder providentieller Offenbarung. Diese Kundgaben sollten sie den Menschen weitergeben. Da diese vorausgeahnten Ereignisse eingetroffen sind, wurde die Gabe der Zukunftsvoraussage als eine der ausschlaggebenden Eigenschaften der Propheten angesehen.
[1] Griechisch prophetes, zu prophánai: vorhersagen, verkünden; (Anmerkung des Übersetzers)
[2] Matthäus XXVI, 68; (Anmerkung des Herausgebers)
Evangelium – Inhaltsverzeichnis | KAPITEL XXI – Es werden falsche Christusse und falsche Propheten aufstehen |